Auf der Gasse
Der Kontakt zu den Menschen auf der Gasse ist Basis der Tätigkeit. Die Teammitglieder der Kirchlichen Gassenarbeit sind zu unterschiedlichen Zeiten, auch am Abend und in der Nacht, im öffentlichen und halböffentlichen Raum der Stadt Bern unterwegs. Besonders wichtig ist die Präsenz an Orten, wo andere Institutionen schwer Zugang und Vertrauen finden.
Die Teammitglieder bewegen sich als Gast in den Lebensräumen der Klient:innen. Sie begegnen diesen auf Augenhöhe und achten sie als Menschen.
Das Team gibt sauberes Konsummaterial, Hygieneartikel, Präservative usw. ab und leistet so einen Beitrag zur Prävention, Aufklärung und Schadensminderung. Gutscheine für die Notschlafstelle bedeuten konkrete Überlebenshilfe, erste Gespräche bauen Berührungsängste ab.
Im Büro
Das Büro ist am Dienstag- und Donnerstagnachmittag geöffnet. Die genauen Öffnungszeiten findest du hier.
FINTA-Büro (Dienstag)
Am Dienstag ist das Büro alternierend mit dem Mascara-Angebot alle 2 Wochen von 14 – 16 Uhr für FINTA (Frauen, inter, non-binären, trans und agender Personen) geöffnet. Im Büro sind zwei Gassenarbeiterinnen anwesend. Ein grosses Augenmerk wird auf geschlechtsspezifische Arbeit gelegt. Im Wissen um die erhöhte Vulnerabilität der FINTA-Personen, welche ihren Lebensmittelpunkt auf der Gasse haben oder die in Armut leben, und im Hinblick auf sexualisierte Gewalt in der Gesellschaft und sexistische Diskriminierung soll das Frauenbüro ein Schutzraum bieten, in welchem frauenspezifische Themen angesprochen werden können. Zudem soll unter den Frauen ein Raum des Empowerments und der gegenseitigen Solidarität ermöglicht werden.
Das Angebot steht Frauen, inter, non-binären, trans und agender Personen und somit all jenen Menschen offen, welche sich nicht als cis Männer definieren und sich somit nicht dem bei der Geburt zugeschriebenen männlichen Geschlecht zuordnen wollen.
Offenes Büro (Donnerstag)
Am Donnerstag ist das Büro von 14 – 16 Uhr für alle geöffnet. Die Gassenarbeiter:innen sind vor Ort. Im Büro können die Besuchenden folgende materiellen Bedürfnisse decken:
- Essen: Wir stellen einen Zvieritisch, Kaffee und Instantsuppen zur Verfügung.
- Kleider: Die Besuchenden können sich an den Kleiderschränken mit Kleidern und Schuhen eindecken, die wir gespendet kriegen.
- Hunde- und Katzenfutter: Zwischen können wir gespendetes Hunde- und Katzenfutter sowie Leinen abgeben.
- Telefon: Die Besuchenden können das Telefon für private Anrufe oder Telefonate mit anderen Institutionen nutzen.
- Internet/Computer: Die Besuchenden können während den Öffnungszeiten die Laptops oder das WLAN nutzen. Das WLAN ist offen und kann auch vor dem Büro ausserhalb der Öffnungszeiten genutzt werden.
Zudem dient das Büro als Aufenthaltsraum, Austausch unter den Besuchenden und folgende immateriellen Hilfen können beansprucht werden:
Kurzberatungen/Hilfestellungen: Die Gassenarbeiter:innen beraten die Besuchenden bei unterschiedlichen Problematiken/Themen wie Sucht, Wohnungssuche, juristischen Themen, Familie, sexualisierter Gewalt, allg. Gewalt, Migration/Asyl, Sozialhilfe etc. Im Fokus steht neben der direkten Beratung die Triage, sofern diese möglich ist, an weitere themenbezogene Institutionen oder Anwält:innen. Komplexere Probleme werden in zusätzlichen Terminen bilateral bearbeitet.
Das offene Büro soll den Besuchenden als Schutzraum vor Diskriminierung und Ausgrenzung im öffentlichen Raum dienen. Die Menschen können sich im Büro austauschen und es soll eine gewissen Solidarität unter den Besuchenden angestrebt werden.
Deine Rechte
Das „Deine Rechte“ ist eine aktuelle Rechtsbroschüre, welche für die Stadt Bern zusammengestellt ist. Sie wird von der Kirchlichen Gassenarbeit Bern zusammen mit den Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern herausgegeben.
Gegenstand sind eidgenössische, kantonale und kommunale Regelungen im öffentlichen Raum, bei Sportveranstaltungen, Rechte und Pflichten im Strafverfahren, im Umgang mit der Polizei, als Jugendliche und vieles mehr.
Die gedruckte Version der Broschüre kannst du über dieses Formular bestellen oder als vollständige Taschenversion ausdrucken.
App-Version
Juristische Beratung
Bei komplexen juristischen Fragen wird den Klient:innen eine kostenlose Erstberatung durch eine Fachperson angeboten.
Mascara
Jeden zweiten Dienstag wird im Gassenarbeits-Büro geschrieben und gezeichnet, dem Frust und der Phantasie freien Lauf gelassen. Viermal jährlich erscheint das Mascara, ein Magazin von Frauen, und bietet den Leser:innen einen ungewohnten und unzensierten Einblick in das Leben auf der Gasse. Den mitwirkenden Frauen schenkt es Freude und Anerkennung und lädt sie ein, sich zwei Stunden Ruhe vom Gassenstress zu nehmen und sich auf sich selber zurückzubesinnen.
Das Projekt ist nicht kostendeckend und wird nebst den Abonnementsbeiträgen vom Verein und privaten Spenden unterstützt.
Bestellung Jahresabo (80.-/Jahr bzw. Solidaritätsabo 120.-/Jahr) per Mail (mail@gassenarbeit-bern.ch) oder trage dich mit diesem Formular direkt ein.
Gassentierarzt
In Zusammenarbeit mit dem Gassentierarzt Zürich bietet die Kirchliche Gassenarbeit Bern einmal im Monat eine tierärztliche Sprechstunde in den Büroräumlichkeiten am Sennweg 6 an. Menschen, die sich einen regulären Tierarzt nicht leisten können, erhalten so die Möglichkeit, die medizinische Grundversorgung ihrer Tiere zu reduziertem Tarif sicherzustellen.
Für die Nutzung ist eine Voranmeldung Pflicht! Die Kontaktdaten findest du hier.
Aktuelle Termine
03. Mai 2024
31. Mai 2024
28. Juni 2024
16. August 2024
06. September 2024
04. Oktober 2024
01. November 2024
06. Dezember 2024
Hundehütte
Hinter dem Begriff Hundehütte steht eine selbstverwaltete Wohngemeinschaft in Bern, die von der Kirchlichen Gassenarbeit unterstützt und begleitet wird.
Walk and Talk
Das Angebot wurde als Kooperation von CONTACT (Stiftung für Suchthilfe), der Kirchlichen Gassenarbeit Bern und der Aids Hilfe Bern entwickelt. Das Projekt fusst auf dem Peer to Peer-Ansatz, auch Peer Education genannt. Das bedeutet, dass im Projekt Menschen arbeiten, die selbst Drogen konsumieren und ihren Lebensmittelpunkt auf der Gasse haben. Sie können daher als Educators aus eigener Erfahrung und auf Augenhöhe mit Peers (Menschen in der gleichen Situation) kommunizieren. Dieser Ansatz wurde gewählt, weil die traditionellen, teilweise stationären Angebote der Drogenhilfe über eine begrenzte Reichweite verfügen, da sie für die Zielgruppe zu hochschwellig sind und in anderen Bereichen mit diesem Ansatz bereits niederschwellige Angebote erfolgreich aufgebaut werden konnten.
Ursprünglich wurde es als spezifisches Angebot für Männer entwickelt. Während den Einsätzen der Educators auf der Gasse zeigte sich schon bald, dass es kaum umsetzbar ist, nur Männer anzusprechen. Zudem wurde unter anderem von den Kooperationspartner_innen vermehrt der Wunsch geäussert, auch Frauen in das Angebot zu integrieren, weil Frauen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Gasse haben, insbesondere Drogen konsumierende Sexarbeiterinnen, grossen Herausforderungen bezüglich des Schutzes vor Infektionen, der Durchsetzung von Schutzmassnahmen und der Gesundheit im Allgemeinen begegnen. Es hat sich aber gezeigt, dass es – um diese Zielgruppe ansprechen zu können – weibliche Educators braucht.
Ziele
- Die Männer und Frauen auf der Gasse kennen die Safer Use und Safer Sex Regeln und wenden diese an, mit der Zielsetzung der Reduktion von Neuinfektionen mit dem HI-Virus, anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) und Infektionen mit viralen Hepatitiden.
- Die Menschen auf der Gasse sind mit relevanten Informationen und Materialen für Safer Use und Safer Sex versorgt.
- Bei Bedarf werden sie an zuständige Fachstellen weitervermittelt.
Projekte
Die Kirchliche Gassenarbeit Bern engagiert sich in Projekten im Interesse der Klient:innen. Einige dieser Projekte können nur in Partnerschaft mit anderen Institutionen durchgeführt werden. Etablierte Projekte wurden teilweise auch an andere Trägerschaften übergeben. So wurde zum Beispiel der Mascara-Bus als gassennahe Anlaufstelle für Sexarbeiter:innen auf dem Strassenstrich aufgebaut und später an das Contact Netz Bern abgegeben, welches bis heute den Bus unter dem Namen La Strada erfolgreich weiterführt.
Street Wound Care – ambulante Wundsprechstunde
In Zusammenarbeit mit Epithelia Wundbehandlung bieten wir eine niederschwellige Wundsprechstunde für Menschen auf der Gasse, welche an akuten oder chronischen Wunden leiden und welche einen einfachen und unkomplizierten Zugang zu medizinischer Wundpflege suchen, an. Die Erfahrungen in den letzten Jahren haben häufig gezeigt, dass es für Menschen auf der Gasse eine grosse Hürde darstellt, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich innerhalb der gängigen Richtlinien zu bewegen (z.B. Einhalten von Behandlungsterminen, Umsetzen von pflegerischen Massnahmen). Bei der Pflege von Wunden kommt es immer wieder vor, dass nicht alle für die Wundpflege benötigten Materialien von der Krankenkasse bzw. vom Kanton gedeckt werden. Zudem kommt es immer wieder vor, dass Menschen auf der Gasse nicht krankenversichert sind und die Materialkosten sowie der zeitliche Aufwand der Wundpflege finanziell nicht gedeckt sind.
Kontakt? 031 312 38 68 oder mail@gassenarbeit-bern.ch
Geschichte
Erste Anfänge von Gassenarbeit gab es in den 1920er Jahren in Chicago/USA, wo die Soziologen Clifford R. Shaw und Mac Kay Konzepte für die Sozialarbeit in von Jugendbanden durchsetzten Stadtteilen aufstellten. In ihren Projekten wurde der Begriff Streetwork geprägt.
Erste Streetwork-Projekte in Europa entstanden ab den 1960er Jahren in Grossbritannien, den Niederlanden, Norwegen und Deutschland. Streetwork bzw. Strassensozialarbeit wurde so zum Begriff in der sozialpädagogischen Literatur.
In der Schweiz entstand ein erstes Projekt 1978 in Zürich unter dem Eindruck der damaligen schweizweiten Jugendunruhen. 1980 in Basel ein zweites, das, angelehnt an das mobile Chicagoer Konzept, den Ausdruck Streetwork mit Gassenarbeit wiedergab.
In Bern bewogen die Jugendunruhen die Kantonalbehörden 1981 zur Einrichtung von Gassenarbeitsstellen in Bern und Biel unter Leitung der Stiftung Contact.
Anfänge der Kirchlichen Gassenarbeit in Bern
Ebenfalls wegen der Jugendunruhen bildete sich 1981 in Bern eine Kirchliche Arbeitsgruppe, welche ihre Erkenntnisse 1982 in einem Jugendbericht zusammenfassten. In dessen Thesen wurde die Einrichtung einer gesamtstädtischen kirchlichen Jugendkommission (JUKO) und der Gassenarbeit postuliert.
Nach der Bildung der JUKO rief diese 1984 einen Ausschuss Gassenarbeit ins Leben, in der auch eine Vertreterin der römisch-katholischen Kirche Einsitz nahm.
Bereits im November 1984 stellte der Ausschuss Gassenarbeit einen Gassenarbeiter und im Dezember eine Gassenarbeiterin an. Die 80%-Stellen wurden finanziert über Beiträge der reformierten Gesamtkirchgemeinde, Kantonalkirche und einzelner Kirchgemeinden der Agglomeration Bern.
Die beiden ersten kirchlichen Gassenarbeitenden, Axel Weisswange und Petra Kruger, nahmen umgehend ihre Tätigkeit auf, hauptsächlich in der Drogenszene, wo sie in Einzelberatungen Überlebenshilfe leisteten, Projekte für verschiedene Betroffenengruppen gründen halfen. Sie vernetzten sich lokal mit den Gassenarbeitenden der Stiftung Contact und anderen gassennahen Einrichtungen und national mit der Fachgruppe Gassenarbeit des Schweizerischen Vereins der Drogenfachleute (VSD).
Verein für Kirchliche Gassenarbeit Bern
1987 rief die ref. Gesamtkirchgemeinde die Kooperation der Kirchgemeinden der Agglomeration Bern (KOPRA) ins Leben. Aus ihren 20 Mitgliedern sowie der katholischen Gesamtkirchgemeinde bildete sich 1988 der Verein für Kirchliche Gassenarbeit Bern (KGB) als neue, ökumenische Trägerschaft für die Kirchliche Gassenarbeit.
In dieser Zeit der offenen Szenen war die KGB an der Durchführung wichtiger Projekte beteiligt, z.B. an der Schnellentzugseinrichtung Freier Fall und der Überlebenshilfsaktion Schänzli.
Bald zeigte sich, dass die Trägerbasis der KGB ungenügend war, da einerseits finanzielle Engpässe auftraten, andererseits viele Betroffene in der Gassenszene Bern aus der weiteren Region kamen. Der Vorstand der KGB erweiterte daraufhin die Trägerschaft auf über 60 Kirchgemeinden und kirchliche Institutionen; auf ökumenischer Ebene und über die Grenzen der KOPRA hinweg in die Region um Bern hinaus.
Auf dieser breiteren Basis konnten 1992 neu drei 60%-Stellen eingerichtet und mit Blick auf die Präventions-Problematik um HIV/Aids sowie der Drogenprostitution Gassenarbeit in geschlechtsspezifischer Differenzierung geleistet werden. Teilweise in Zusammenarbeit mit der Aidshilfe, dem BAG und anderen, entstanden Projekte für Frauen (Zeitschrift Mascara, LOLA 375, Mascara-Bus) und Männer (Freierprojekt, MSW-Projekt OASIS) sowie für Aidskranke (Verein Lighthouse).
Entwicklung der Gassenarbeit bis heute
Einzelne Projekte konnten später aufgegeben oder in andere Hände gelegt werden. So wird der Mascara-Bus seit 2003 als La-Strada-Bus unter Leitung des Contact-Netz geführt.
Andere Projekte werden wie auch die Einzelfallhilfe bis heute weitergeführt, z.B. die Frauenzeitschrift Mascara und die Freierarbeit im Projekt Don Juan.
Neues kam hinzu, z. B. das Wohnprojekt Hundehütte und das Projekt Gassentierarzt.
2011 wurde der KGB in einer professionellen Evaluation bestätigt: Trotz Abnahme der öffentlichen Präsenz der Gassenszene leistet sie mit ihrem parteilichen und niederschwelligen Ansatz weiterhin notwendige und gute Arbeit.